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    |  | Ausgewählte Texte     zu den Arbeiten | 
  
    |  |   Eigene Gedanken - 2000 Raupe mit Lava (Michael Wolfson) - 2004 Die Geliebte des Seidenspinners (Hans Werner Dannowski) - 2004 Alexander Kühns spanische Reisen (Michael Stoeber) - 1997 La poética abstractizante de Alexander Kühn (Maria José Corominas Madurell) - 1997 Das fünfte Leben (zu Alexander Kühns Zyklus „Das vierte Leben, oder: ...“ von Christoph Rust) - 2009 Ein Stück des Weges (Hans Werner Dannowski) - 2010 Aus  den Meditationen über das Zurückkehren (Bodo  Dringenberg) - 2010 Aus des Knaben Wunderhorn (Bodo Dringenberg) - 2011 Luftschlösser (Vera Burmester) - 2016 | 
  
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    |  | Die Frage der Puppe (aus  dem Katalog Pyrameis Atalanta L.) 21. März 2000 in Santanyi, Mallorca: Eine Raupe klebt sich an die völlig ungeschützte Außenwand  des Wohnhausesund verwandelt sich innerhalb von Stunden vor meinen Augen  in eine Puppe
 mit fünf geheimnisvoll, scheinbar von innen heraus  schimmernden, goldenen Punkten.
 Warum macht sie das? Hier und jetzt.
 Warum male ich? Hier und jetzt –
 zwei Monate lang wie besessen bis zur völligen Erschöpfung.
 Mein Gepäck ist voll mit Papieren, Pinseln und Farben; mit  meinen Ideen, Absichten, Planungen, Verlangen;
 mit meinen Ansprüchen, Fragen und Ängsten.
 Unruhe kommt auf.
 Erst einmal ankommen und alles in Ordnung bringen.Klar werden.
 Vorbereiten - eine Art Meditation.
 Beim Malen bin ich dann in glücklichen Momenten beinahe wie  ein Kind.
 Grenzenlos, voller Tatendrang und Lust. Reine Konzentration.
 Alles löst sich. Die Zeit ist nicht mehr.
 Danach. Schauen was ist.Wie nahe bin ich gekommen an den Punkt, an die Grenze?
 Absicht und Zufall liegen dicht beieinander.
 Erkennen was wichtig ist.
 Liebgewonnenes wieder aufgeben, zerstören
 und im Sinne des Ganzen neu fügen,
 Reagieren.
 Das ganze Leben ist Reagieren.Da sind Spuren von anderen, Erlebnisse, Eindrücke,  zeitgleiches Geschehen,
 Unbegreifliches. Da ist Leben, da ist Tod, es ist hart und  weich,
 hell und dunkel, fließend und starr. All dies ist ohne das  andere nicht existent.
 Wie kann ich das formulieren, in Einklang bringen, in Form  bringen?
 Malerei beginnt dort, wo Sprache endet. Ein sehr labiles  Gleichgewicht.
 Da ist etwas zu erkennen, im gleichen Augenblick ist es  nicht mehr da,
 hat sich verwandelt - eine Projektion, eine Ahnung, eine Sehnsucht,
 ein Suchen nach Sicherheit, nach Sinn?
 Die Formen sind so zerbrechlich, wie die Kreatur in ihrer  Existenz.
 Da muß etwas sein, was über eigenes bloßes Befinden  hinausgeht,was wiederum eine Reaktion auslöst, einen Anstoß gibt.
 Etwas, das durch den Menschen lebt und sich immer wieder  verändert.
 Im Idealfall tut es das. Dann macht es Sinn.
 Drei Wochen später, am 12. Aprilschlüpft aus der Puppe ein wunderschöner Schmetterling:
 Pyrameis Atalanta L. (die mythische Jägerin).
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    |  | Raupe mit Lava  von  Michael Wolfson Alexander Kühns Bilder in der hannoverschen Eisfabrik Eine phantastische, organische Welt beschwört Alexander Kühn  in seinen jüngsten Gemälden. Exotische Farben und biomorphe Formen von  obsessiver Komplexität wachsen zusammen,
 wirken lyrisch, stellenweise erotisch  und auf verwirrende Weise ekstatisch.
 Farben fließen wie heiße Lava über die Leinwand und scheinen  über die Ränder hinauszudrängen.
 An dem ambivalenten Grenzbereich zwischen  Abstraktion und Gegenständlichkeit ruhen die ausdrucksvollen,
 großformatigen  Arbeiten, die der 1956 geborene hannoversche Maler in der Eisfabrik zeigt.
 
 Wer ist die im Ausstellungstitel besungene „Geliebte des  Seidenspinners“?
 Es kann sich wohl nur um die Metamorphose als solche  handeln, der Verwandlungsprozess der Raupe,
 die geheimnisvolle Überfahrt von  einem Zustand in den nächsten, das Durchdringen von neuen und anderen  Daseinsformen.
 
 Eine mutige und gleichzeitig sensible Malerei stellt Kühn  vor, um diese innere und äußere Transformation voller Dramatik und Sehnsucht zu  veranschaulichen.
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 Die Geliebte des Seidenspinners
 Eine Rede von Hans Werner Dannowski (2004) Eine starke Ausstellung eröffnen wir heute Abend. Bilder  sind es, die mich sofort anspringen, mit ihrer Farbigkeit, mit ihren  Kontrasten.
 Bilder sind es, die mich herausfordern, in deren Geheimnis ich  unbedingt eindringen möchte.
 Die Bildgegenstände, an denen sich die Phantasie und  Leidenschaft von Alexander Kühn entzündet - so überlege ich mir -,
 die können  es doch wohl nicht sein.
 Was sind das schon, die Schnecken, die er auf Mallorca zu  Tausenden erlebte und die er mit dem Besen aus dem Weg
 vor seinem Atelier fegen  musste.
 Was ist das schon, ein Seidenspinner, der im Kokon seinen Seidenfaden  spinnt.
 Aber schon wenn ich das so anspreche, die Gegenstände, an  denen sich die Malphantasie von Alexander Kühn entzündet,
 als bloße Objekte zu  qualifizieren,
 verrate ich das Geheimnis - so vermute ich - das sich für den  Künstler mit eben diesen Objekten verbindet.
 So tut Alexander Kühn recht daran,  seine Bildzyklen in eine Aura des Verborgenen zu retten.
 „Die Geliebte des Seidenspinners“, wie die kleineren Bilder  oder „Vorgefühle“, wie die großen Formate heißen:
 ich garantiere Ihnen, dass  keiner von uns endgültig dahinterkommen wird, was damit gemeint sein könnte.
 Was also tut ein Eröffnungsredner, wenn er kein Kunstkritiker ist, der die  Bilder im ästhetischen Vergleich analysieren und einordnen könnte?
 Er versucht  das, was er als Theologe gelernt hat: Auslegung zu betreiben.
 Die  Beziehungsströme zu erfassen, die vielleicht zu den Bildern geführt haben und  die er aus den Bildern auf sich selbst als ihren Betrachter zukommen spürt.
 Eine Hermeneutik der Empfindungen vor diesen Bildern werde ich also versuchen,  so subjektiv, wie jede und jeder das vor den Bildern von Alexander Kühn  empfinden wird.
 Ohne weiteres Vorspiel steige ich hinein.
  Einen Künstler im Zauberkreis der Schöpfung sehe ich in den  Bildern dieses Malers an der Arbeit. Da ist keine blasierte Distanz, keine  stoische Selbstgenügsamkeit,
 keine individualistische Selbsteinkerkerung zu  spüren. Ein Spiel affektiver Ansteckung ist da im Gang.
 Ein interpersonaler  Raum breitet sich aus in diesen Bildern, der überfüllt ist von erotischen, von  anziehungsbereiten Energien.
 Ein Grundgesetz der Intersubjektivität ist da in  Geltung, das sich ausdehnt und ausbreitet und selbst Bereiche und Objekte,
 auf  die kaum jemand achtet, einbezieht in das Geheimnis unseres Lebens.
 
 Was ist  schon eine Raupe, eine Schnecke, ein Gras, ein Halm, ein Seidenspinner, ein  Schmetterling?
 Wunderwerke der Schöpfung sind das, jeder staunenden und  bewundernden Beachtung wert.
 Ein Potential an genauer Beobachtung, ein  Potential an Verlangen wird da freigesetzt, das sich nicht scheut,
 das Kleine  groß zu machen und das Unscheinbare in den Mittelpunkt und in den aufregenden  Wechsel der Veränderungen hineinzustellen.
 Ein angebliche Autonomie des  Subjekts, die von all dem nicht berührt wird, was um einen her geschieht, 
        ist
 im Ansatz in diesen Bildern dementiert.
 So spannend sind gerade die  unscheinbaren Dinge, dass man in monatelanger intensiver Arbeit ihren Konturen  und Veränderungen einfach auf der Spur bleiben muss.
 Ich kann diese meine erste Beobachtung über die Weise der  Weltauslegung, wie ich sie in den Bildern von Alexander Kühn spüre, auch ganz  einfach benennen:
 Das Gesetz der Sympathie sehe ich an der Arbeit. Dass Liebe  nicht anders kann, als Liebe zu wecken,
 wie auch der Hass seine eigene  Wirkungsgeschichte hat:
 Das bringt dieses sympathein, dieses Einschwingen auf  das Gemeinsame mit sich.
 Dann ist die Geschichte der Schnecken und der Raupen und der  Gräser nicht eine Naturgeschichte des ganz Anderen.
 Dann lässt sich in den  Bildern über Seidenspinner und Raupen etwas über den Menschen und seine  Veränderungen sagen,
 weil es um das Sein des Menschen  i n   all den Dingen und um das Sein der belebten und 
        der unbelebten  Natur  i m  Menschen geht.
 „Im Dasein liegt eine wesenhafte Tendenz auf Nähe“, hat  Martin Heidegger gesagt. Und um die Einwohnung, um das gemeinsame Wohnen im  Haus des Seins, hat dieser Philosoph sich viele schwierige Gedanken gemacht.
 Bei Alexander Kühn wird dieses gemeinsame Wohnen im Haus des Seins ganz  sinnlich, ganz fassbar,
 ohne aufdringlich und plakativ zu sein.
 Es ist  wahrscheinlich dieses Grundgesetz der Sympathie, das alles Leben umfasst, das  ich sofort herausspüre und das mir den Maler und seine Arbeiten so nahe kommen  lässt, ja, im tiefsten Sinn, so sympathisch macht.
 Aber nun muss ich natürlich noch einen Schritt weiter gehen,  um das, was die Sympathie an schöpfungsgemäßer Gemeinsamkeit herausspürt, in  Kontur und Gestalt zu bringen.
 Die Metamorphose ist mein Thema, sagt Alexander  Kühn.
 Dass aus einer hässlichen Raupe ein wundervoller Schmetterling  wird, dass aus einem harten Haus eine weiche Schnecke kriecht, dass im Kokon  ein Seidenspinner den Wunderfaden der Seide spinnt,
 dass getrocknete Gräser in  Bildern eine neue Auferstehung erfahren: Das ist das Geheimnis von Verwandlung.
 Und da die Metamorphose zum Grundgesetz der Schöpfung und des Schöpferischen  gehört, so wird - aus dem Gesetz der Sympathie heraus – die Raupe und die  Schnecke und das Gras zum Paradigma menschlicher Existenz.
 Diese Faszination:  Dass das Ich auch ein Anderer ist und werden kann, ist in den Metamorphosen der  Evolution überdeutlich ausgedrückt.
 Das Ich und der Andere, das sind doch keine  unüberbrückbaren Gegensätze, ist damit gesagt.
 Sonst gäbe es keine Gemeinschaft  und keine Kommunikation,
 sonst beherrschten Auseinandersetzungen und Kriege bis  aufs Messer endgültig das Gesicht der Erde.
 Nein, wenn es stimmt, dass im  Dasein wesensmäßig eine Tendenz auf Nähe liegt, dann ist der und die Andere
 ein  Bild meines heimlichen Lebens.
 Dann gibt es eine Attraktion gerade durch die  Andersartigkeit des Anderen.
 Dann gehören Wandlung, Veränderung, Wachsen  elementar zum Leben, dann haben wir solange keinen festen Boden unter den  Füßen, solange wir stehen bleiben.
 Und nun geht doch fast der Prediger mit mir  durch, und ich möchte Ihnen am liebsten eine kleine Predigt darüber halten,  dass man nur unter dem Blick der Sympathie den Freiraum bekommen kann, um zu  wachsen und sich in einen größeren Raum hin zu verändern. Und dass wir, Gott  sei Dank, diesen Freiraum haben.
 Meine Identität ist in der Sehnsucht, und die  Sehnsucht spannt sich umso stärker aus, je größer die Triebkräfte der  Verwandlung und je klarer die Ziele sind, die mir vor Augen liegen.
 So kann man sogar zur Geliebten dieses wunderbaren  Seidenspinners werden, der dieses kostbare Tuch aus sich heraussetzt, das die  Menschen schmückt und kleidet.
 Oder man kann mit verfolgen, wie sich eine Raupe  in eine Arche Noah verwandelt, und ein Vorgefühl von Geborgenheit und Errettung  dabei ahnen.
 Aber genug der Auslegungsversuche und der Anläufe zur  Predigt. Eine starke Ausstellung eröffnen wir, 
        ich wiederhole es noch einmal.
 Das ist bei mir nicht nur ein äußerer Eindruck, sondern eine Faszination, die  mich ganz innen erreicht.
 Eben: das Gesetz der Sympathie meine ich in diesem Raum zu  spüren.
 Und so bin ich gerne hergekommen, bin - wie Sie sicherlich  bemerkt haben – ganz überwältigt von der Arbeit von Alexander Kühn, grüße ihn  in unserer Mitte,
 danke ihm für die Mühe, die die Fertigstellung und der  Aufbau einer solchen Ausstellung bedeutet.
 Und ich hoffe, die Resonanz des  heutigen Abends und der kommenden Wochen wird ihm manches von dem zurückgeben,
 in diesem Spiel der affektiven Ansteckungen, das er in die Bilder hineingelegt  hat.
 Und ich danke Ihnen Allen sehr für Ihre Bereitschaft, meinen  Auslegungsversuchen und meinen Zumutungen für eine kleine Weile zuzuhören.
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    |  | Alexander Kühns spanische Reisen
 Auszüge aus einem Text von Michael Stoeber (1997)
 ..die Schnecke ist ein Hermaphrodit. In ihrer  zweigeschlechtlichen Potenz scheint sie symbolhaft die Kunst von Alexander Kühn  zu umspielen.Ihr Vorhandensein instrumentiert weniger ein bestimmtes  Thema innerhalb des Werkes, sondern
 emblematisiert die künstlerische  Strategie,nach der das Werk selbst sich bildet.
 So wie das hermaphroditische Element im Charakter der  Zweigeschlechtlichkeit sein Gegenbild immer in sich trägt,
 so ist auch die Sprache  der Arbeiten von Alexander Kühn mehrdeutig und schillernd.
 
 Mit den Begriffen konkret und abstrakt wird man ihnen nur  sehr unzulänglich gerecht.
 Das macht der „Schneckenzyklus“ aus dem Jahre 1996  auf eindringliche Weise deutlich.
 ..immer wird das Realistische fantastisch, das Konkrete  abstrakt, das Eindeutige uneindeutig.Alexander Kühns Arbeiten sind nie nur eines, sondern immer  vieles.
 Sie sind zugleich leicht und poetisch, befremdlich und  skurril,
 vertraut und verschlossen.
 ..ein opus magnum der spanischen Reise stellen die sechs  Riesenformate mit dem sprichwörtlich gewordenen Titel „aus des Knaben  Wunderhorn“ dar.
 Um sie zu bearbeiten, legte Alexander Kühn seine fünf Meter  langen Papierbahnen auf den Fußboden.
 Er zeichnete und malte auf nur 30 Gramm  schwerem, extrem empfindlichen Chinapapier, das er später
 auf Leinwand aufzog.
 Das Papier ist sensibel wie eine Haut. Und wie ein Liebhaber muß der Künstler  sich darum bemühen.
 Ist er grob, plump oder nicht einfühlsam, zerreißt das  magische Band zwischen ihnen im wortwörtlichen Sinne.
 Lag der Ausgangspunkt des „Schneckenzyklus“ in einem Motiv  der äußeren Welt, nur um sich im Verlauf der Arbeit zu verrätseln, ist der  Ausgangspunkt für den „Wunderhornzyklus“ die Welt des Fantastischen und  Wunderbaren.Aber während die  konkreten Züge der „Schneckenbilder“ immer abstrakter werden, werden die abstrakten Züge der „Wunderhornbilder“ immer  konkreter.
 
 Einmal mehr wird deutlich, wie ungeeignet diese Begriffe  sind – die zu den fundamentalen Ordnungsschemata der Kunst dieses Jahrhunderts  gehören – um das Werk von Alexander Kühn zu charakterisieren.
 
 Denn hier lösen sie sich auf in einem faszinierenden  Vexierspiel von Form und Farbe.
 Der Künstler schafft dieses Werk aus farbigen Tuschen,  extrem leuchtkräftigen und transparenten Textilfarben und fetter Ölkreide. Er arbeitet mit einem ganzen Sortiment unterschiedlicher  Pinsel, zum Teil Pinsel, die er selbst anfertigt. Einer ist aus  weichem Bambus und produziert in den Worten Kühns „eine lebendige, trockene Linie“.
 Das erinnert an den Kanon chinesischer Malerei, deren  Akteure bis heute der Überzeugung sind mit Hilfe von Tusche und Pinsel das  Universum nach und neu zu schöpfen.
 Jeder Pinselstrich hat bei ihnen eine  spezifische Bedeutung.
 Am Anfang steht die Ausdehnung der Tusche. Durch  unterschiedlichen Auftrag und Verdünnung steuert Kühn ihren Weg. Aber erst  nachdem er eine dünne Leimschicht aufgetragen hat, findet die Linie des Pinsels  Halt, vermag aus amorphen Farbschleiern, hybriden Farbnebeln und explodierenden  Farbkaskaden klar definierte Motive zu gewinnen.
 Sie ordnen sich zu einem disparaten  Bildinventar, das oft nicht leicht zu bestimmen ist.
 Es geht einem mit ihnen  wie mit den Gegenständen in Platons „Höhlengleichnis“, von denen die Menschen  immer nur
 die Schatten sehen.
 Das fantastische Universum, das sich da vor den Augen des  Betrachters auftut, muss mit den Augen „abgegangen“ werden. Die Lesart schwankt.
 Mal wandert der Blick in gewohnter Weise von links nach  rechts, dann – ungewohnt – von rechts nach links.
 Die extremen Querformate  wirken wie in die Horizontale gerutschte, chinesische Rollbilder.
 Und  eigentlich sollten sie wie diese wahrgenommen werden.
 Im Akt des Entrollens, was in China eine Art heiliges,  Stunden in Anspruch nehmendes Ritual ist.
 
 Auch der „Wunderhornzyklus“ hat  Gleichnischarakter, wenn er auch sehr im Privaten und Verborgenen liegt.
 Die  starken Kontraste von Form und Farbe, die Opposition von Licht und Dunkelheit, die Anwesenheit und  Überwindung von Grenzen im Bild, all das spricht dafür, dass es sich um eine  Art Initiation handelt.
 Per aspera ad astra. Durch Dunkelheit zum Licht, durch Leid  zum Glück oderzumindest zu jenem labilen Gleichgewicht, das dem Glück am  nächsten kommt.
 Von nichts anderem spricht die Weisheit des Volksliedes, die  Achim von Arnim und Clemens Brentano am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts zu  sammeln beginnen.
 Wenn sie dabei Altes und Neues, Überkommenes und Erdichtetes  mischen, vertrauen sie auf die „Wahrheit der Phantasie“ und damit letztendlich auf die Wahrheit der Kunst.
 In ihr findet auch Alexander Kühn die Antworten auf seine  und unsere Fragen.
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    |  | La poética abstractizante de Alexander Kühn Maria José Corominas MadurellPresidenta de la Asociación Balear de Críticos de Arte
 A.I.C.A. International (1997)
 Al referirnos a la obra de un artista concreto, para  desarrollar un análisis ciertamente profundo, resulta evidente que este puede  realizarse desde distintos puntos de observación y claramente diferenciados entre  si. Nuestro enfoque al analizar la obra pictórica de Alexander Kühn se centra  en el estudio de la evolución que se ha producido en su trabajo durante su ya  larga trayectoria profesional. Verdaderamente, en el trabajo de Kühn, se pone  de manifiesto un importante sentido de poética de la imagen y del color, imagen  de carácter, en una etapa anterior, eminentemente figurativo que nos evocan  hacia ciertos aspectos de narración histórica, ya se refiera esta a periodos  correspondientes a siglos pasados o a imagenes del individuo del siglo XX.
 Un  concepto estricto, sobrio, de narración épica y a la vez con un fuerte lirísmo  que entronca plenamente con la personalidad de Alexander Kühn, poética, la de  su obra que en una simbiosis de investigación artistica configuran una mirada especial,
 unas veces escéptica, con un  espacio de obscrvación y en otros con una importante involución emocional hacia  todo aquello que se encuentra a su alrededor.
 
 Las ralaciones de Kühn con su entorno, con la naturaleza,  con su trabajo, con sus amigos tenía su protagonismo en una etapa anterior, ya  mencionada y más figurativa. Actualmente sus pinturas se interesan más por un  aspecto de plasmación abstracta. Las formas figurativas mostraban una cierta  voluntad de que permanecieran como fieles testimonios de su realidad,  vigilantes silenciosos de su existencia, de las actitudes y situaciones que se  produjeran cerca de él.
 Será durante el final del verano y principios del otoño de  1996 en su estancia para trabajar en Mallorca, que este artista evolucionará,  de manera inteligente y muy interesante hacia un trabajo de sintetización de  las figuras, de manera que estas se transforman en grandes manchas de color y áquellas  se desfiguran para convertirse en los puntos más extremos de los campos de  tonalidades. Los personajes se convierten en formas referidas al repertorio de  la naturaleza: los fondos de las obras unas veces contienen una gran cantidad  de luz y otras conservan una importante oscuridad que permanecía, casí  siempre, en la etapa anterior. Las formas de hojas, de pequeños insectos, de pájaros  y de manera especial de caracoles, aunque muy esquematizados, aparecen frequentemente  e interesan mucho al artista, sensibilizado por este pequeño animalito, que en  Mallorca con frequencia, en el campo y especialmente en la zona de Santanyí,  que es donde trabajó Alexander Kühn, estos pequeños y casi blancos cubren todo  aquello que encuentran; objetos, ventanas, sillas, cualquier aparejo agrícola o  cualquier objeto que se encuentre en el exterior. Interpretación muy personal,  la que hace Kühn de los caracoles, que con frequencia toman un carácter de fósiles  como aquellos que aparecen incrustados en la piedra, después de permanecer  miles de años en sus entrañas. Los caracoles dialogan con otras formas: los  gusanos o las hojas de las cuales estos se nutren.
 Alguién podría pensar, que en la reiteración de las formas,  fruto de la naturaleza o los mismos caracoles se manifiesta un sentido de  obsesión, nada más lejos de la realidad. Esta reiteración es el fruto de una  minuciosa observación de la naturaleza, de la que los humanos también formamos  parte. Lo que también resulta evidente es que en esta observación se manifiesta  un importante componente de poetización que ya hemos mencionado anteriormente  y en las que una influye en la otra. En las obras de gran formato, estas toman  el valor de pedazos de naturaleza suspendidos sobre la pared, sus colores  suaves contrastando, con los oscuros como en un bosque después de la lluvia,  cuando todo fortalece su colorido, ya sea de tonalidades suaves o fuertes. En  este mismo sentido de discurso de contundentes colores y de formas  esquematizadas, estos parecen evocarnos las pinturas rupestres de las cuevas  prehistóricas. Las esquematizaciones se reducen hasta llegar al esqueleto del  gusano y las espirales de los caracoles encaminando cada vez la obra con más  rotundidad hacia la abstracción.
 Si las formas se esquematizan, los campos de  color se amplian hasta conseguir el estallido del color y de la forma.
 El  artista parece inducirnos con su trabajo a un trayecto hacia la luz, la  autenticidad de la evidencia, que nos hará reflexionar sobre los hechos más  intrínsecos del ser humano con sus cotidianidades, alegrías, frustraciones, éxitos  y amores.
 Después de todo lo dicho podemos afirmar que Alexander Kühn  se halla en una linea de investigación plástica y poética que le ha llevado a  la más sensible simplificación, para dejar solamente en la obra aquellos  elementos imprescindibles para expresar el discurso conceptual deseado por el  artista. 
 Todo ello permite constatar que la síntesis, cuando se realiza hasta  el punto justo para expresar la narrativa plástica, sin dejar fuera nigún  elemento esencial, es una actitud y labor de un gran profesional tal y como es  Alexander Kühn.
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    |  | Das fünfte Leben Zu Alexander Kühns Zyklus „Das vierte Leben oder eine  außerplanmäßige Metamorphose“ Auszüge aus einer Rede von Christoph Rust  (2009)
 
 Kunst macht neugierig. Jedenfalls ging es mir so, als ich  gestern zum ersten Mal die neuen Arbeiten
 von Alexander Kühn anschaute,
 sie  mich förmlich ansprangen mit ihren leuchtenden Farben und der scheinbar  unendlichen Formvielfalt,
 die sich in ihnen manifestiert.
 In den Farbnebeln und -welten der Bilder tauchen bei  genauerem Hinsehen Formen von Pflanzen auf, manchmal
 von fotografischer  Genauigkeit.
 Diese farbigen Schatten führen tatsächlich zu dem Ursprung der  Bilder, der sich chiffriert auch im Titel offenbart.
 Denn dieser mysteriöse  Titel führt ein Wort mit sich, das in der abendländischen Kunst seit ihren  Anfängen eine gewichtige Rolle spielt.
 „Metamorphose“, die Verwandlung von einem Zustand in einen  Anderen, ist nicht nur ein zentrales Thema in der Kunst, sondern...
 
 ...Nach dieser kulturhistorischen Skizzierung  möchte ich nun zu der Metamorphose im  Kühn´schen Sinne kommen.
 Ein wichtiges Indiz ist der erste Teil des Titels des  Bilderzyklus, „Das vierte Leben“.
 Diese vier Leben beschrieb mir der Künstler  in einem Gespräch wie folgt: das erste Leben der Pflanze beginnt mit  dem Wachstum und endet mit der Hand eines Menschen, die sie vor etwa fünfzig Jahren  in ein Herbarium einfügte, das Alexander Kühn auf dem Flohmarkt erstand.
 Vorsichtig die getrocknete Pflanze aus dem Herbarium und ihrem zweiten Leben  herauslösend, verpackt der Künstler sie in einem doppelten Kokon aus  Chinapapier und beginnt jetzt das dritte Leben zu initiieren, indem er diesen  Kokon mit farbigen Tinten, Acryl- und Textilfarben bemalt und durchtränkt.
 Vielschichtigkeit, Gegenpoligkeit  und Transparenz ergeben eine bildnerische Form der Utopie,
 eine Metamorphose  der Farben.
 Man kann diese sensitive und sensible Technik mit  archäologischen Methoden vergleichen, in denen die Fundstücke mühevoll und  vorsichtig herauspräpariert werden;
 allerdings geht Alexander Kühn hier in  umgekehrter Reihenfolge vor, gilt es doch, die Silhouette der Pflanze mit der  Malerei untrennbar zu verbinden.
 Aber damit nicht genug beginnt jetzt ein Crossover der alten  und der neuen Medien:
 mit einem leistungsstarken Scanner werden diese Kokons in  virtuelle Bildräume verwandelt,
 in denen jedes kleinste Pixel elektronisch  bearbeitbar ist. Die Leuchtkraft kann immens gesteigert werden, Umgebungsfarben  können weiträumig ausgedehnt werden, ja selbst Doppelungen von Bildteilen sind mühelos  möglich.
 Das vierte Leben findet also am Bildschirm statt, in dem mit  einem einzigen Mausklick das gesamte Bild von Rot- in Blautöne überführt werden  kann.
 Ist dies nun die Aufhebung der Malerei durch die  elektronischen Mittel?Mitnichten, denn denkt man einmal an die kurze Geschichte  der elektronischen Kunst zurück
 (sie dauert gerade 30 Jahre, denn im September 1979  fand die erste 
        internationale Ausstellung von Computerkunst, die Ars  electronica, in Linz statt),
 dann hat man sicherlich noch die kruden und unvollkommenen  graphischen Mittel vor Augen, die damals den Künstlern zur Verfügung standen.
 Hier ist es ein echtes Crossover oder eine Metamorphose der  Malerei, die Alexander Kühn in einer komplizierten und innovativen Technik  weiterentwickelt.
 Denn keine der traditionellen Drucktechniken wie Radierung,  Holzschnitt oder Lithografie passt zu dem Erscheinungsbild,
 das wir hier  vorfinden:
 Da sind zunächst die Farben, die zu glühen scheinen und  immer dieses transluzide Leuchten in sich tragen;
 selbst die dunkleren Partien  der Bilder, zum Beispiel die Blau- oder Brauntöne treten nicht als geschlossene  Farbschicht auf, sondern erinnern in ihrer Struktur und Tiefe an  Unterwasserräume oder mikroskopische Welten.
 
 Und jetzt erklärt sich auch  mühelos der Ausstellungstitel „vor dem Blau ist hinter dem Blau“: in der  virtuellen Bildräumlichkeit
 gibt es nicht mehr das festgefügte Schema von  Vorder,- Mittel-, und Hintergrund,
 sondern alle Bildteile stehen zur  Disposition und können jede gewünschte Position ausfüllen.
 
 Es ist eine Reise in  die Farben und die Möglichkeiten der Malerei, die nur heute - im Jahre 2009 -  möglich geworden ist und
 in den Augen der Betrachter ein eigenes Leben, das  fünfte, zu entwickeln beginnt.
 Denn nur hier, im Akt der individuellen Rezeption,  vollendet sich die Metamorphose zu einem schlüssigen Ganzen; Assoziationen  (vielleicht aus dem eigenen Garten) oder aus der Kindheit drängen heran und  verbinden sich unlösbar mit den leuchtenden Farbwelten, die Alexander Kühn uns  heute präsentiert.
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    |  | Ein Stück des  Weges Eröffnungsrede in  der Städtischen Galerie Kubusin Hannover am  10. Januar 2010
 
 von Hans Werner  Dannowski
 „Ein Stück des  Weges" will Alexander Kühn in seinen Bildern heute mit uns gehen. Sicher  ist das zunächst biographisch gemeint. Die Suche nach dem „Roten Faden"  wird es sein, die einen Künstler bewegt,
 wenn er Werke aus über 20 Jahren  seiner Malerei
 in die Öffentlichkeit von wohlwollenden und kritischen Besuchern  stellt.
 Gibt es eine  Grundmelodie in diesem umfangreichen Werk, von dem wir heute Ausschnitte sehen?
 Wo sind die Brüche in der malerischen Entwicklung, die das große Denkprojekt  des Alexander Kühn - die Metamorphose -
 nicht nur als theoretisches Konstrukt,
 sondern auch in seiner praktischen Wirksamkeit erweisen?
 Aber Alexander  Kühn wäre nicht wirklich ein Künstler, wenn es ihm um Selbstbespiegelung,
 nur um Selbsterkenntnis ginge. Wenn er nicht die Betrachter seiner Bilder  einbeziehen möchte in die Erfahrungen,
 die ihm spontan oder in harter Arbeit  zugefallen sind.
 Also: Ein Itinerar, einen Reisebegleiter oder eine  Wegbeschreibung haben wir in dieser Ausstellung zu erwarten.
 So, wie es für  einen Jahresanfang angemessen ist.
 Aus der Vielzahl der Wege, die man mit den  Bildern von Alexander Kühn betreten könnte, wähle ich zwei.
 Der eine ist  der Weg in die äußeren Ereignisse und Gestaltungen, der andere ist der Weg nach  innen.
 Also zunächst:  Der Weg in die äußeren Erscheinungen und Gestalten. Chronologisch ist die  Ausstellung aufgebaut, die ersten Bilder stammen noch aus den Studienjahren.  „Tripel" von 1987,
 „Aus den Schwebezuständen" und „Die Decke"  von 1988.
 Schwarz/Weiß ist die Farbpalette dieser Anfangsjahre, schwarze Bilder  weiß unterlegt oder weiße Bilder, schwarz unterlegt,
 die Umrisse sind in die  sich verfestigende Farbmasse hineingeritzt, 
        Korrekturen sind unmöglich.
 Und geht es nur  mir so, oder können Sie es nachempfinden: Eine uranfängliche Kunstausübung, die  Höhlenkunst der Altsteinzeit kommt mir in den Sinn.
 Auch wenn sie sich - wie in  Lascaux, in Altamira oder in Chauvet - in Teilen anders darstellt.
 Aber elementare  Kunst ist das, die - wie zum ersten Male - Mensch, Tier und Stein in Umrissen  und in Zusammenhängen darzustellen versucht.
 Eine Nahsicht und eine Fernsicht  gibt es, und in der Fernsicht wird die Decke des Rehs sogar zu einem Ornament.
 Sind also, zumindest manchmal und zumindest hier, die künstlerischen Anfänge  deckungsgleich mit den Uranfängen
 der Menschheitsgeschichte? Von weit her  kommen wir, weite Wege liegen schon hinter uns.
 Da treten Menschen aus dem  Dunkel der Nacht heraus, ein Schild muss sie schützen, wovor und gegen wen?
 Jäger sind sie  vielleicht, die ihre Beute zu belauern lernen. Wir sind, was wir waren, und wir  waren, was wir sind.
 
 Dann weist das  Itinerar des Alexander Kühn auf die Faszination der fremden Länder und  Kulturen.
 Türkeiaufenthalte haben ihn geprägt.
 Noch immer ist die Farbpalette  schwarz und weiß. Die Schafe und die Widder, die zum Opferfest geschlachtet  werden:
 Stehen sie stellvertretend für die Menschen oder für das, woran das  Herz des Menschen hängt?
 Wieder sind es  alte, uralte Rituale, die das menschliche Leben gerade in seiner Fremdheit  prägen.
 Oder ist die Geschichte von Isaaks Opferung aus 1. Mose 22, die das  Judentum, das Christentum und auch der Islam kennt,
 nicht auch eine Geschichte,  die bedeuten will, dass die Zeit der Menschenopfer vorbei ist,
 damals und  jetzt?
 Aber es werden  weiter Menschen geopfert und geschlachtet.
 1980 bis 1988 tobt der erste,  blutige Golfkrieg zwischen dem Irak und dem Iran, 1991 und 2003 werden der  zweite und
 der dritte Golfkrieg unter der Führung der USA folgen.
 Alexander Kühn  malt Bilder eines fernen Krieges, der doch alle trifft.
 Ironisch-analysierende  Bilder sind die „Ansichten eines Golfplatzes", die Raketen können auch  männliche Imponiermerkmale sein und das Schild ein einsamer Grabstein, der  unübersehbar ist.
 Das Gewaltthema lässt den Künstler nicht los.
 In einem  Geschichtsbuch von 1886 hat Alexander Kühn sich festgelesen, 90 % der dort  erzählten Geschichten sind
 Geschichten der Gewalt.
 Ist es das, was aus den  Reisen 
        in die Vergangenheit und in die unmittelbare Gegenwart tief in der  menschlichen Erinnerung eingegraben ist und bleibt?
 Immer wieder  verschmilzt die Vergangenheit mit der Gegenwart, die griechische Mythologie  offeriert die Erzählung vom Haupt
 der Medusa, aus deren Kopf das Unheil der  todbringenden Schlange quillt und bei deren Anblick der Mensch versteinert.
 „Der  Spiegel" wird zur Widerspiegelung von explosiver Kraft, die Wüste brennt, der Perseus  muss noch gefunden werden,
 der der Medusa den Kopf abschlägt.
 Nein, malen oder  zeichnen will der Künstler diese Verkörperungen von Gewalt nicht;
 in Form von  Collagen heftet er Abziehbilder aufs Papier, verkürzt auch die Bilder zur  Groteske wie in dem Anblick der „Sieger"
 mit ihren zerstörten Pferden.
 Oder er ironisiert die Verharmlosung von Gewalt durch den Goldgrund der Ikonen.
 
 Dann ist das  Thema der Gewalt erschöpft. Oder genauer: Der Künstler scheint erschöpft zu  sein von diesem Thema, das keine neuen Horizonte aufreißt und nur das eine alte  Menschheitsthema in immer neuen Variationen quer durch die  Menschheitsgeschichte spült.
 Wenn Sie so  wollen, ist das - zumindest in thematischer Hinsicht - ein radikaler Bruch.
 Alexander Kühn bricht noch einmal auf.
 
 Wege sucht er,  die Einfühlung, die Erkenntnis, die - wie er ein Bild nennt - „osmotisches  Verlangen" in ihm wecken.
 Aufenthalte in Mallorca prägen ihn.
 Das wunderbare  Atelier, der Himmel, das Meer, die Kraft der Farben,
 und - die  Schnecken, die er jeden Morgen vor seinem Atelier beiseite fegen muss.
 Nach dem  Blick auf die Geschichte der Blick in die Natur.
 Auf die Bilder der Querwand  komme ich später noch zurück, gehe gleich auf die vielen Einzelbilder in der  Ecke ein.
 Die angebliche  Größe ist demaskiert, das Unscheinbare und Kleine kommt zu seinem Recht.
 Nach  dem Chaos menschlich-unmenschlicher Geschichten nun die Suche nach einer  Ordnung, wie sie - in der Geschichte
 der Naturwissenschaften - wohl erstmals  1735 mit dem „Systema naturae" des Carl von Linne und in der späteren  Ausweitung
 auf Tiere und Mineralien Gestalt gewinnt.
 Die  Metamorphose, die Verwandlung von einer Pflanze zur Blüte oder einer hässlichen  Raupe zur Schönheit des Schmetterlings, ist eben kein Zufall, 
        ist erst recht  kein Unfall.
 Sondern sie ist das zielgerichtete Wirken einer schöpferischen  Dynamik, die der Künstler aufgreift und weiterzuentwickeln sucht.
 
 Aus einem  Herbarium löst er mit aller Vorsicht die einzelnen Pflanzen, legt sie zwischen  zwei China-Papiere, arbeitet von beiden Seiten ihre Struktur und ihre  Farbigkeit heraus.
 Eine reiche Ausbeute von dieser Reise in die oft  unscheinbaren Welten der Natur bringt Alexander Kühn nach Hause,
 ordnet die  vielen Einzelstücke für diese Ausstellung zu einer Kachel, wie ich denke,
 voller innerer Kraft und unmittelbarer Präsenz.
 Eine letzte  Station dieser Reise in die äußeren Erscheinungsformen von Geschichte und Natur  trägt die Aufschrift „Viertes Leben". Aus virtuellen  Welten kommen diese Bilder in unsere reale Welt zurück.
 Die zunehmende  Virtualität unseres ganzen Lebens tragen sie mit sich herum und lassen sie doch  kaum erkennen.
 1½ Jahre hat  Alexander Kühn an diesen 50 Bildern, von denen wir hier eine Auswahl sehen,  gearbeitet.
 Wieder das Prinzip der kleinen Einzelbilder: Die lebende Pflanze  ist ihr erstes Leben, die tote ihr zweites,
 die in einem Malprozess veränderte  ihr drittes Leben.
 Und nun wird das Bild im Computer, nach den Anweisungen des  Künstlers, noch einmal gestaltet.
 
 Wie das  geschieht, werde ich nie begreifen.
 Aber die Ergebnisse könnten mich vielleicht  eines Tages mit der ganzen Computerwelt versöhnen.
 Ein Stück des  Weges. 
        Einige der äußeren Stationen des Itinerars des Alexander Kühn habe ich  zu beleuchten versucht. Aber die Wegbeschreibung dieses Künstlers wie die  Wegbeschreibung jeder Künstlerexistenz wäre unvollständig ohne
 zumindest einen  zweiten, einen anderen Weg versuchsweise zu betreten:
 Die Wege einer  inneren Wahrnehmung und Erfahrung.
 Nun kann und will ich nicht in die Seele von  Alexander Kühn schauen. Aber ich will versuchen,
 von der Wahrnehmung seiner  Bilder her zu beschreiben, wie er meiner Vermutung nach unsere Welt erlebt, ja,  wie er sie erfühlt. Dass dabei der Pfarrer und der Prediger in mir noch etwas  mehr herauskommt, werden Sie ertragen können.
 Der erste  Schritt in diese innere Welt, so wie ich sie in den Bildern des Alexander Kühn  erlebe, ist seine Fähigkeit zum Staunen. Ich denke, dass jede tiefe Entdeckung  der Welt uns in einen Jubel stürzt, in ein radikales Staunen, das die Schleier  der Trivialität zerreißt.
 Nichts ist selbstverständlich, am wenigsten die  Schönheit.
 Es ist dieses  Staunen, mit dem Gott sein eigenes Schöpfungswerk betrachtet und am sechsten  Tage in die überraschten Worte fasst: Und siehe, es war alles sehr gut.
 Diese  Entdeckungsfreude, dieses Staunen über die tiefe Schönheit des menschlichen  Lebens und der Natur sehe ich überall bei Alexander Kühn am Werk. Schauen Sie  doch nur noch einmal auf die beiden langen Bahnen in der Mitte des Raumes, die  der Maler „Des Knaben Wunderhorn" benennt.
 Die Anspielung  geht auf die berühmte Liedsammlung der Romantiker Achim von Arnim und Clemens  von Brentano, die dieses Werk als Volkspoesie ausgaben, obwohl sie es selbst  geschrieben hatten.
 Auf das Einfache, das Schlichte, das Unmittelbare geht  diese Poesie.
 „Die Volkspoesie lebt im Stand der Unschuld, die Kunst hat das  Bewusstsein", hatte Schelling gesagt.
 Und Kühn wagt  den Schritt vom Abstrakten ins Konkrete, vom Gefühl des Wunderbaren in die  Gestaltung von Kreisen,
 Konturen, Gebäuden, und dies in Farben, die ein einziger  Ausdruck des Staunens sind.
 
 Wer kann so mit  dem Rot umgehen, dem Grün, dem Blau?!
 Auch die dunkle  Seite des Staunens darf nicht verschwiegen werden, das Entsetzen und die  Ausweglosigkeit, die sprachlos macht. In den Bildern über den Golfkrieg habe  ich dies schon anzusprechen versucht. In jede Richtung hin gilt dies:
 Das Staunen  enttrivialisiert das Leben, bringt den Durchbruch durch die Fettschichten von  Gewohnheiten und Überzeugungen, den wir so dringend brauchen.
 Maler wie  Alexander Kühn zeigen uns, dass man das Staunen lernen kann.
 Als zweite  Station in die innere Welt des Alexander Kühn sehe ich die Fähigkeit des  Loslassens. Ich kenne Maler, die ihr Leben lang immer nur an demselben Bild  malen.
 Aber ich denke, zu einem menschlichen Leben gehören die Brüche, die  Neuanfänge mit dazu.
 Das Loslassen-Lernen beginnt mit einfachen Fragen: Was  nehme ich wahr? Was lasse ich nicht an mich heran?
 Was berührt mich? Was wähle  ich aus?
 
 Ich bewundere  den Mut des Malers, sich nach der Beschäftigung mit den großen Menschheitsfragen  von Krieg und Frieden
 den nur scheinbar kleinen, den nur  scheinbar nebensächlichen Dingen zuzuwenden.
 Gerade dort kommt es heraus, in  welcher Tiefe das Leben mich berührt.
 Ich denke, wir  werden von Alexander Kühn noch Überraschungen erleben.
 Und als dritte  und für heute letzte Station in die innere Welt dieses Malers hinein benenne  ich das Widerstehen. In einer medien- und konsumorientierten Welt wird das  Widerstehen zu einem Existential des modernen Menschen.
 Damit meine ich nicht  nur, aber auch, den Widerstand gegen eine Mentalität,
 die die Welt zu einer  „Heimat der Helden" machen will und dabei die Ruinen- und Gräberfelder  übersieht.
 
 Ich meine damit  auch das Widerstehen gegen die einfachen, allzu einfachen Lösungen.
 Beim  Aufgang im Treppenhaus haben Sie schon die beiden wunderbaren Ikarus-Bilder  gesehen, die in der Faszination des Höhenfluges die Nähe des Aufgehens in  Flammen,
 die Ambivalenz von Fortschritt und Zerstörung nicht verschweigen.
 Und dann werfen  Sie nachher doch noch einmal einen Blick auf die Bilder an der Querwand  gegenüber.
 „Sorglos" heißt das eine Bild, und lässt mich begreifen,
 dass  Sorglosigkeit ein Balanceakt über dem Abgrund ist.
 Und dass die  „Entscheidung", so das andere  Bild, als eine menschliche Grundsituation immer die Qual der Wahl zwischen  verschiedenen Möglichkeiten sein muss,
 und dass „Versuchung", so das dritte  Bild, in der Gegensätzlichkeit der Dinge Anziehung, Attraktion wie auch  Verlustahnung zugleich in sich birgt.
 Um meine  Einführungsrede nun mit einem heiteren Aperçu zu beenden:
 Alexander Kühn  widersteht gerne auch den einfachen Lösungen, die die Kirchen und die Theologie  aller Konfessionen reichlich bieten.
 Sein Beitrag zu dem kirchlichen Projekt  der „Sieben Todsünden", das im Henriettenstift zu sehen war, ist unten in  der Vitrine
 in einer Taschenausgabe ausgestellt.
 Es handelt sich dabei um eine  „TodSündenNotfallSelbstvergebungsbox".
 Die kirchliche Verdammung solcher  Todsünden wie „Lust" und „Neid" sei - angesichts der herrschenden  Vernichtungsmaschinerien und Verarmungsdynamiken - so oberflächlich und  marginal, dass man sich solche Art von Sünden besser selbst vergeben solle.
 Nun  kann man darüber streiten, ob etwa die „Habgier" nicht doch eine ziemlich  verheerende Gestalt des Bösen in der Welt ist.
 Wir haben inzwischen so unsere  Erfahrungen damit gemacht.
 Aber Sie merken: Mit Alexander  Kühn ist man schnell im Dialog.
 
 Und meine Meinung, dass wir mit ihm einen  herausragenden Maler in unserer Stadt haben,
 das werden Sie vermutlich  unterstreichen können.
 Ihm und uns allen können wir, denke ich, zu dieser  Ausstellung nur gratulieren.
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    |  | Aus den Meditationen über das Zurückkehren Einführung zur gleichnamigen Ausstellung7. November 2010
 von Bodo Dringenberg Der Ausstellungstitel „Aus den Meditationen über das Zurückkehren“ verheißt einen Reichtum künstlerischer Gedanken und ästhetischer Vielfalt. Wer diese  Ausstellung sieht, wird das aufs Schönste bestätigt finden.„Aus den Meditationen über das Zurückkehren“ zeigt von immer wieder neuen Bewegungen zu malerischen Bildräumen
 und ihren faszinierenden Gestaltungen.
 All diese Bilder hier sind von der fixen Idee der malerisch kanonisierten Komposition befreit. Sie sind dem Zwang enthoben, in vertraute Koordinaten von Raum und Zeit eingesperrt zu sein.
 Weil sie sich bewusst keinem klassischen Bildaufbau in Vorder- und Hintergrund oder Zentrum und Peripherie fügen, entfalten
 die Arbeiten Alexander Kühns ein Optimum an schöpferischer Freiheit. Erst dieser subjektive Bildraum lässt dem Betrachten
 freien Lauf in die Fläche und besonders in jede mögliche Bildtiefe.
 Die uns sichtbaren ästhetischen Resultate sind zwar räumlich-flächig gefasst, aber sie geraten für das aufmerksame Auge wieder in Bewegung. Sehen ist ja eine aufwendig tastende Bewegung, nicht das Öffnen und Schließen einer Kameralinse!
 Von diesem Künstler wird das Auge nie an der Leine geführt. Seine Arbeiten vermeiden es durchweg, die Wahrnehmung durch vertraute Muster zu lenken. Der betrachtende Blick vagabundiert durch die komplexen Freiräume, ihre sachten Tiefen und diskreten Untiefen. Wer hier nicht zum nomadischen Betrachter wird, bringt sich um einen optischen Genuss!Der Künstler schafft eine je eigene Ordnung in jedem seiner Bilder, die eine verblüffende Evidenz besitzt. Im wahrsten Sinne
 eine „Einsichtigkeit“, eine wirklich einleuchtende Offenbarkeit.
 Und einleuchtend sind seine Bilder fürwahr! Ein virtuoses Spiel mit dem Licht zeichnet alle Malereien des Künstlers aus.Ihr Leuchten gibt ihnen Tiefe und erweckt die Bewegung dramatisch aufglühender Räume, die mit erloschener Glut in Beziehungen gesetzt werden. Magmatische Eruptionen oder eine gleißende Supernova, die sich gleichzeitig mit ihrem schwarzen Pendant des Verlöschens, Verglühens, Ersterbens ausbreitet: elementare Kräfte und Materien scheinen am Werk zu sein.
 Bei diesem elementaren Rekurs liegt es nahe, zur Ansicht des Vorsokratikers  Parmenides zurückzukehren. Nach Ansicht dieses Philosophen zerfällt die Welt in zwei Urstoffe, aus deren Mischung sie immer wieder entsteht:
 das helle und tätige Feuer einerseits und die dunkle und passive Masse andererseits.
 Manche Bildräume erinnern an phantastisch anmutende Farbfotografien aus der Tiefe des  Weltalls, die ferne Galaxien, Milchstraßen, Sternennebel, mit ihren transparenten Tiefenschichten erfassen. Dazu gehört das immer wieder frappante Leuchten seiner Kompositionen, als ob es sich aus einer unsichtbaren Lichtquelle hinter den Bildern speiste. Auch wenn in den hier gezeigten Arbeiten immer die Hand und der Kopf Alexander Kühns präsent sind – betreffs ihrer Beschaffenheit und ihrer künstlerischen Entstehung sind sie durchaus verschieden.Die großen Formate sind – technisch gesehen – Acrylmalerei auf einem Hauch von Chinapapier und Leinwand. Das ist übrigens kaum sichtbar, da sich die Gewebestruktur der Leinwand mit der Trocknung des Chinapapiers in dessen Fläche abbildet.
 Es schmiegt sich an und bildet so einen unauffällig amalgamierten  Malgrund.
 Die Arbeit für diese Bilder begann jeweils mit dem Malen auf dem Chinapapier. Während des Farbauftrags kam dann der Punkt,in dem der Künstler entschied, dieses bemalte hochsensible Papier genau jetzt auf die Leinwand zu bringen und
 dort weiter zu malen.
 Es ist einleuchtend, das die Farbwerte auf dem Chinapapier andere sind als diejenigen, welche aus der Verbindung mit der Leinwand resultieren.
 Auf der Einladung zur Ausstellung ist der Ausschnitt eines Bildes zu sehen, das hier – neben anderen – in einem Passepartout gezeigt wird. Es hat etwas von einem mächtigen vulkanischen Ausbruch samt grauer Asche und dunkelblau verfestigtem Basalt. Mit seinen lichtdurchfluteten, transparenten übereinander geschichteten Farbflächen mag es technisch an Lyonel Feiningers Arbeiten erinnern, die atmosphärische Stimmungen in verschiedenen Variationen thematisieren. Aber diese künstlerische Nähe trügt. Das hier gezeigte farbstarke Bild ist nicht gemalt, sondern nach einem mehrphasigen Schaffensprozess letztlich vom Computer ausgedruckt. Dieser Prozess beginnt mit klassischem Farbauftrag mittels geeigneter Pinsel auf Chinapapier. Dieses vorläufige „Gemälde“ wird eingescannt und bekommt damit eine zweite, eine virtuelle Existenz. In diesem Zwischenstadium existiert das Bild materiell nicht mehr, sondern ist jetzt eine gespeicherte komplexe Rechenoperation. Als wieder erscheinendes digitales Bild auf dem Monitor wird es in jeder Hinsicht über die Eingabetasten so lange modifiziert, bis es Alexander Kühn genau so auf dem Schirm hat, wie es sein soll; um endlich als Farbausdruck mit ungewöhnlicher Leuchtkraft zweidimensional zu erscheinen, nie genau identisch mit seiner Bildschirmpräsenz. Das künstlerische Verfahren ist ebenso wie sein sogenanntes „Produkt“ weder digital noch analog, sie sind digital und analog,also nicht mit einem dieser Begriffe fixierbar. Sie sind Ausdruck eines faszinierenden ästhetischen Synkretismus, der noch viel Potential birgt.
 In der Virtuosität, wie sie Alexander Kühn zeigt, wird künstlerische Pionierarbeit geleistet, die Möglichkeiten aktueller und künftiger Malerei praktisch auslotet. Mit diesen neu gewonnenen ästhetischen Freiheitsräumen wird eine Kontroverse, künftig digital oder analog zu malen, souverän hinter sich gelassen.
 „Meditationen über das Zurückkehren“ zeigt diese Ausstellung.Meditation, abgeleitet vom lateinischen Verb meditari, bedeutet „nachdenken, nachsinnen“, ähnlich wie im Griechischen, wo es „denken, sinnen“ benennt.
 In den angestrebten Bewusstseinszuständen des Meditierens kann den strikt verordneten Rastern von Raum und Zeit entronnen werden, um diese neu in Beziehung zu setzen. Ein wünschenswerter Eskapismus also? Ja, eine für die Kunst sehr
 wünschenswerte Möglichkeit! Denn die Malerei Alexander Kühns ist sicherlich eine besonders aktive Kunst der Meditation, bei der körperliche Bewegung und achtsames Handeln im wahrsten Sinne des Wortes Hand in Hand gehen.
 „Zurückkehren“, aus „zurück“ und „kehren“. Beide Wortteile beinhaltet die Wende, das Umwenden, das Nicht-Fortsetzen eines Weges – warum auch immer. Das Wort „Zurückkehren“ hat daher etwas Redundantes, nachdrücklich Verstärkendes.Zum anderen meint es auch, sich erneut auf etwas zu zubewegen, wo man schon war. Bloß, kann man dahin zurück?
 Gibt es – genau genommen – wirklich ein Zurückkehren?
 Dass jedes Ding immer mit sich selbst gleich ist, träfe zu, wenn die Welt bloß statisch wäre. Aber gibt es diese statische Identität wirklich?
 Zurück zu den vorsokratischen Denkern und deren Meditationen: „Alles fließt und nichts verharrt in beständigem Sein.“
 Und noch anschaulicher: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss hinabsteigen; andere Wasser sind da und wir selbst sind auch anders geworden“, sagte Heraklit. Und er vertrat die Ansicht: „Das Weltall haben weder Götter noch Menschen gemacht, sondern es war immer und wird ewig sein – sich immer wieder selbst entzündend und löschend.“
 Sich immer wieder entzündend und löschend – das umschreibt auch den sprachlosen Kosmos der diesen grandiosen Bildern zu Eigen ist. Wir bekommen also Einblicke, besser: Rückblicke in einen Schöpfungsprozess. Denn die eigentlichen Schöpfer innerhalb dieser ungeschaffenen Welt sind die Künstler, welche uns zum Beispiel die bewegende Vielheit ihrer Raummöglichkeiten vor Augen führen. Hier geschieht das besonders eindrücklich in den kleinformatigen Arbeiten – der Zahl nach wie die Stunden eines Tages – davon zwei Hochkant-, und zweiundzwanzig Querformate:Vierundzwanzig Stunden Zeit hat der Tag; aber welche Tiefe, welche Räume er haben kann, ist hier zu erfahren.
 Diese vierundzwanzig großartigen Miniaturen bilden keinen  Zyklus, jedes Bild ist ein quicklebendiges Individuum von losgelassener oder bewusst gedämpfter Farbkraft. Ihre Gemeinsamkeit haben sie im Format, in den Materialien und der Vielfalt ihrer künstlerischen Techniken.
 Auf massive und feste MDF-Platten wurde dickes Büttenpapier aufgebracht, was herrliche Farbverläufe ermöglicht, aber diese auch unwiderruflich macht, da sie  nicht durch korrigierende Übermalungen zu überlisten sind. Ihr kalkuliertes, konzentrisches Auslaufen wird oft abrupt begrenzt mittels Aufklebungen zum Beispiel von Computerausdrucken; Kerbungen, Frakturen ergeben sich,mal gemalt, mal gedruckt, mal geklebt, mitunter ganz fein, oft ohne Farbe. Es entstehen erhabene Strukturen, Stufen, Terrassen, Kanäle. Ihre hellen Linien sind durch feine Schnitte mit dem Messer, nicht durch Farbauftrag erzeugt. Partiell werden Farben durch Aushöhlungen, Abrisse stumpf gemacht, ihrer Leuchtkraft, ihres Glanzes beraubt.
 Es ist ein mitunter aggressiver Prozess, in denen sich diese geballt lichten Bildräume entwickelt haben. Daneben finden sich wieder ruhige, verhaltene, mal helle, mal dunkle Partien, die je nach Kontext und Malweise melancholisch oder gelassen freundlich anmuten. Bei wieder anderen gerät man in Farbballungen mit filigransten aderigen Geflechten – einige mögen an bedrängte Herzkranzgefäße denken lassen.Manchmal gerät der Betrachter durch die Erhebungen und Vertiefungen in ein Vexierspiel:
 Eine auffallend gelbe Miniatur mit vom Rande kommendem Grün hat schräg von links nach rechts durchlaufende aufgeklebte rötliche Streifen. Diese schmalen Bänder, die ihrerseits mit dicken, lackartigen, feuerroten Farbtropfen kollidieren, scheinen andere Bildelemente deutlich zu überlagern. Aber was beim ersten  Eindruck als überlagernd gesehen wird, ist tatsächlich räumlich tiefer, ist ausgeschnitten.
 Mitunter erscheint diese Malerei als entrückender Rausch, der aber unermüdlich eine besondere Welt schafft und formt. Sie ist auch eine entzückende Fülle ganz verschiedener Minidramen, aber ohne eine uns geläufige sprachliche Handlung.
 Wie der Schriftsteller Zbigniew Herbert einmal schrieb, sei "die literarische  Beschreibung...einem mühevollen Möbelrücken ähnlich, sie entwickelt sich langsam in der Zeit, während die malerische Vision plötzlich ist und präsentiert wird wie eine Landschaft im Licht der Blitze".
 Und sind nicht diese gebändigten Farbturbulenzen, ihre Formen, Brüche, Anläufe, elegischen Passagen, Täuschungen und Erleuchtungen – lax formuliert – ein bildhaftes Feuerwerk mit Finessen und Finten?
 Alexander Kühns Bildräume sind antistatisch, sie verhalten sich geradezu polar gegenüber Malereien, die Zustände, Gedanken, Emotionen einfrieren, erstarrt zeigen. Sie sind gefasst in eine Fülle von Kleinodien, die berühren, auch, weil sie die  Grenzen des Begreifens streifen, ja diese manchmal feurig oder zart überwinden.Dazu noch einmal Heraklit: „Diese Welt hat kein Gott und kein Mensch geschaffen, sondern sie war immer und ist und wird sein ein ewig lebendiges Feuer, nach Maßen erglimmend und nach Maßen erlöschend. Feuer ist die ewige Unruhe des Werdens mit seinem ständigen Auf und Ab.“
 Doch „Malerei beginnt dort, wo Sprache endet“, schrieb Alexander Kühn über seine künstlerische Arbeit.
 Auch darum überlasse ich Sie nun diesen wunderbaren „Meditationen über das Zurückkehren“.
 Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit! 
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    | „AUS DES KNABEN WUNDERHORN“ Ausstellung zu den 21. Internationalen Fredener MusiktagenEröffnungsrede  am Freitag, den 29.07.2011
   Guten Abend, meine Damen und  Herren!    Das Wunderhorn Ein Knab auf schnellem RoßSprengt in der Kaisrin  Schloß,
 Das Roß zur Erd sich neigt,
 Der Knab sich zierlich  beugt.
 Wie lieblich, artig, schönDie Frauen sich ansehn,
 Das Horn trug seine Hand,
 Daran vier goldne Band.
 (...)
   Alexander Kühn, geboren im  hessischen Treysa, hat in Hannover Freie Kunst bei Stephan von Huene und Peter  Redeker studiert. Der Künstler erhielt mehrere Stipendien, war Preisträger bei  einem Ideenwettbewerb und auf zahlreichen nationalen und internationalen  Ausstellungen vertreten. 
        Erst vor einem Jahr hatte Alexander Kühn eine große  Einzelausstellung in der städtischen Galerie KUBUS, Hannover. Im Rahmen dieser Einführung  können kaum alle Aspekte und Feinheiten seiner außerordentlich reichen Kunst zu  Gehör gebracht werden. Aber hier in Freden aufzuführende  Chorwerke Gustav Mahlers in Korrelation zum Ausstellungstitel „Aus des Knaben  Wunderhorn“ zu setzen, ist ebenso naheliegend wie reizvoll.
 Und so sind  ästhetische wie geschichtliche Beziehungen von Sprache - Lied - Malerei  zentraler und ordnender Gedanke.
 Das erfordert, sich zunächst  dem Textlichen und Liedhaften zuzuwenden, die beide innig mit der Malerei  Alexander Kühns korrespondieren.
 Das anfangs teilweise  zitierte Gedicht „Das Wunderhorn“ ist optimistischer und utopischer als die  meisten anderen in der umfangreichen Sammlung. Dazu ist das Horn kostbar, hat  „vier goldne Band (...) Und hundert Glocken dran / Vom feinsten Gold gemacht“.
 Der Knabe fügt gegenüber der  Kaiserin hinzu:
 „Dies ist des Horns  Gebrauch: / Ein Druck von Eurem Finger, / Ein Druck von Eurem Finger / Und  diese Glocken all / Sie geben süßen Schall“. Das Gedicht schließt: „Ließ in der  Kaisrin Hand / Das Horn, so weltbekannt; / Ein Druck von ihrem Finger, / O  süßes hell Geklinge!“
 Die exklusive Schönheit des  Horns, seine klangliche Potenz und schlussendlich die pure Lust durch  Berührung.
 Gustav Mahlers Zeitgenosse, der Psychoanalytiker Sigmund Freud,  hätte sich über solche Zeilen gewiss andere Gedanken gemacht als der Romantiker  Eichendorff. Denn dieser schrieb: „Es schläft ein Lied in allen Dingen“.
 Die Romantiker postulierten  die Herrschaft der frei schöpferischen Phantasie, die wichtiger sei als eine  kanonisierte Form.
 Sie verlangten Weltoffenheit, hegten zugleich eine Vorliebe  für das Traumhafte, Wunderbare und Unbewusste.
 Ihnen lag sehr daran, auch die  Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit niederzureißen,
 sie wollten eben die  ganze Welt – „romantisieren“!
 Einiges von dieser  künstlerischen Programmatik scheint sich auch in der Arbeitsweise und den  Gemälden Alexander Kühns realisiert zu haben. Seine Bilder vermeiden es  durchweg, die Wahrnehmung durch vertraute Muster zu lenken.
 Der betrachtende  Blick vagabundiert durch die komplexen Freiräume, ihre sachten Tiefen und  diskreten Untiefen.
 Wer angesichts dieser Bilder  nicht zum nomadischen Betrachter wird, bringt sich um den Genuss, den sie  bereiten.
 „Es schläft ein Lied in  allen Dingen“ dass „die Welt zum Singen“ bringe. 
        Gemäß diesem ästhetischen  Konzept liegt es am Dichter, Komponisten oder bildendem Künstler, ein Ding  „erklingen“ oder „leuchten“ zu lassen.
 Solch „leuchtendes  Erklingen“ gelingt Alexander Kühn bildlich in seinen Gemälden.
 Ein virtuoses  Spiel mit dem Licht zeichnet viele seiner Malereien aus. Ihr Leuchten gibt  ihnen Tiefe und erweckt in ihnen manchmal die Bewegung dramatisch aufglühender  Räume.
 Ding und Lied, gewöhnlich  separat begriffen als das Sichtbare oder das Hörbare, gehören nach romantischer  Auffassung eben zusammen. Romantikern wie Clemens Brentano waren Synästhesien  ebenso geläufig wie bedeutsam, was sich in solchen Versen zeigt wie „Golden  wehn die Töne nieder“; „Durch die Nacht, die mich umfangen, / Blickt zu mir der  Töne Licht“.
 Auch der oft gepriesene  Volkston im Lied ist nichts als pure Kunst, die mehr oder weniger gelungen  wirkt.
 Gelungene Authentizität ist künstlerisches Resultat; die hohe  Verbreitung eines Liedes zeugt davon, dass Dichter und Komponist für sehr viele  den „richtigen Ton“ getroffen haben.
 Dem gegenüber wurde gern das  Volk als Creator postuliert, aus dem Vers, Lied oder Bild irgendwie kollektiv  herausbrächen.
 Doch immer ist es - das gilt jedenfalls für unseren Kulturkreis  - ein individuelles künstlerisches Erzeugnis, das etwas Gemeinsames  formulierte, von einer Allgemeinheit aufgenommen und variiert wurde.
 Dass den in den im 19. Jahrhundert  abgedruckten Liedern geheimnisvolle „Volkskräfte“ wirkten, ist hingegen der  zeitgenössischen nationalen Ideologie geschuldet. In ihr artikuliert sich die  Sehnsucht nach einem goldenen Zeitalter, die Sehnsucht nach einem Aufgehen in  Natur; aber auch die tiefe Melancholie, dass diese Sehnsucht im realen Leben  nicht, sondern vielleicht im Tod ihre Erfüllung findet: „Wenns schneiet rote  Rosen, / Wenns regnet kühlen Wein; / So lang sollst du noch harren, /  Herzallerliebste mein.“
 Abschied, Trennung oder  „Scheiden und Meiden tut weh“, wie es in Gustav Mahlers Chorlied für zehn  Stimmen heißt.
 Auch diese Umdichtung - im Buch heißt das Lied „Es ritten drei  Reiter“ - ist stark vom Todesgedanken und der über ihn hinaus greifenden  Sehnsucht gezeichnet. Doch Arnim und Brentano schrieben: „Alles was mit Lust im  Gemüthe sich aufthut und findet ist schön, sey es Himmel oder Hölle, nur das  Zufällige ist häßlich (...)“.
 In diesem Satz erschließt  sich, warum es ihnen nicht darauf ankam, Todesangst gegenüber Lebenslust  auszuspielen.
 Es ging darum, das empfundene Leben - zu dem neben der  Liebessehnsucht und Naturseligkeit auch die Todeserwartung gehört - zu  poetisieren.
 Schon „Des Knaben  Wunderhorn“ von Arnim und Brentano sind gesammelte und bearbeitete Texte, dazu  eigens für diese Sammlung neu verfasste. Gustav Mahler hat die Texte wiederum  für seine musikalischen Zwecke geformt.
 Was da letztlich Volks- oder doch eher  Kunstlied ist, mag nun für manchen immer noch umstritten sein.
 Kaum umstritten  ist heute die hohe ästhetische Qualität von Mahlers Kompositionen. Schließlich  war er ein Neuerer in seinen Versionen von Liedern aus „Des Knaben Wunderhorn“,  insbesondere hinsichtlich Liedform, Orchestrierung und Aufführungspraxis. Was  Mahlers Liedtexte angeht, so haben wir im Resultat artifizielle Sedimente vor  uns, übereinanderliegende, sich durchdringende Schichten poetischer Neu- und  Umformulierungen.
 
 Alexander Kühns  künstlerische Arbeiten weisen ebenfalls ihre Schichten und Überlagerungen auf.
 Technisch gesehen sind die großen Formate Acryl- & Tuschmalerei auf einem  Hauch von Chinapapier und Leinwand.
 Das ist übrigens kaum sichtbar, da sich die  Gewebestruktur der Leinwand nach der Trocknung des Chinapapiers in dessen  Fläche abbildet. Die Arbeit des Künstlers im engeren Sinn begann jeweils mit  dem Malen allein auf dem hauchzarten Chinapapier. Während des Farbauftrags kam  dann der Punkt, in dem der Künstler entschied, dieses bemalte hochsensible  Papier genau jetzt auf die Leinwand zu bringen, an den es sich anschmiegte und  so einen andersartigen Grund bildete, auf dem weiter gemalt wurde. Es ist  einleuchtend, das die Farbwerte auf dem Chinapapier andere sind als diejenigen,  welche aus der Kaschierung mit der Leinwand resultieren. Damit liegt also eine  Analogie zu den Textumarbeitungen vor, die eben weit mehr ist als ein  kunsttechnischer Vorgang.
 In der Tat realisiert die  Ausstellung „Aus des Knaben Wunderhorn“ nicht nur in ihrem Titel eine  synästhetische Verbindung von Lied und Bild.
 Alexander Kühns Großformate  können als gemalte, artifizielle Lieder betrachtet werden.
 Wie Liedstrophen  verweigern sie sich der schnellen optischen Besitznahme, sie bedürfen der Zeit  und der Bewegung der Betrachtenden. In seinen großen Gemälden ist weder ein  Ziel anvisiert, noch eine Mitte konstruiert und – sie sind natürlich nicht in  einem Blick zu erfassen. Sie haben etwas von einem Panoramabild, an dem man  sich bewegen muss und in dem man seine Blicke schweifen lassen kann, will man  es mit Genuss „lesen“ und erkennen.
 Geht man von der Lesbarkeit  dieser schmalen Bilderstrecken aus und geht sie auch ab – ohne dass eine  Leserichtung von links oder rechts vorgegeben würde – so sind kompositorische  Einheiten, Bilder im Bild, tatsächlich analog zu Strophen in einem Gedicht oder  Lied. Wie Liedstrophen, die für sich stehen und dennoch innig verbunden sind,  haben diese „Bildstrophen“ harte und weiche Übergänge. Viele Bildpassagen  erscheinen zuerst autonom, und doch sind sie im Verlauf der Malstrecke  vielförmig verbunden.
 Es finden sich  Durchdringungen, Grenzüberschreitungen, sei es durch eine Form, Linie oder  Kontur; sei es ein Farbwechsel, in dem ein durchlaufender Umriss sich  verwandelt zeigt. So wandern nicht allein Motive durch die Bilder, sondern  ganze Farbfelder oder Flächenumgrenzungen.
 Wie in einer scheinbaren Paradoxie  sind im Kunstwerk Grenzen nötig, um sie zu überwinden.
 Naturale, florale und  faunale Elemente finden sich in unterschiedlichem Abstraktionsgrad, in diversen  Konstellationen und Metamorphosen auf allen hier ausgestellten Bildern. In  Kokons zum Beispiel verpuppen und entpuppen sich Formen;
 es gibt Pilze und  Schnecken wie im Bild „Symbiotisch II“ auf handgeschöpftem Japanpapier. Darin  scheinen sich in freundlich blauem und sonnigem Farbenspiel Schnecke und Pilz  ineinander fortzusetzen. 
        Zum Schnecken- und Pilzmotiv und wäre einiges zu  sagen, hier nur soviel, dass Schnecken geschlechtlich unentschieden sind und  Pilze weder zu Pflanzen noch Tieren gehören.
 Interessant ist zudem, dass  Schnecken hochsensitive „Hörner“ haben und die kreisenden Windungen des  Musikinstruments Horn an das Schneckenhaus erinnern können. Weiterhin erscheint  ein Schneckenhaus als endlich, wenn es als nach innen gedreht gesehen wird.
 Aber, von innen nach außen  betrachtet, entrollt es sich als prinzipiell offene, unendliche Möglichkeit.
 Immer wieder erscheinen  Schnecken in verschiedensten Stadien, dazu Schneckenhäuser mit oder ohne ihre  Bewohner.
 Die über fünf Meter breiten Großformate „Aus des Knaben Wunderhorn“  entstanden in einem saalgroßen Atelier auf Mallorca.
 Und es müssen wahre  Schneckenarmadas gewesen, die Alexander Kühn bei seinem Mallorca-Aufenthalt  beeindruckt und ihn im Atelier motivisch herausgefordert haben.
 Seine zwischen Abstraktion  und Realismus changierenden malerischen Motive aber verselbständigen sich  mitunter.
 Sie werden poetisch und phantastisch, wie es analog in einer  vertonten Strophe aus der Wunderhorn-Sammlung heißt:
 „So geht es in  Schnützelputz Häusel, / Da singen und tanzen die Mäusel, / Und bellen die  Schnecken im Häusel.“
 Der Sinn der ästhetischen  Grenze ist wie gesagt eben kein absoluter, sondern sie dient dazu, gekonnte  Überschreitungen ins Werk zu setzen. Das Bild wird über das Bild hinaus  getrieben. Es überschreitet seine scheinbare Identität auch durch einen  weiteren synästhetischen Zusammenhang. Ein nicht-textuelles, sondern mündlich  organisiertes Gedächtnis hat immer eine starke somatische, also körperliche  Komponente.
 Überall auf der Welt und zu  allen Zeiten werden traditionelle Kompositionen und Lieder mit Bewegungen der  Hände verbunden.
 In der Einheit von Liedgesang und zugehöriger manuellen  Aktivität können also bildende Kunst und Musik zusammen gedacht werden. Die  Handbewegung mit dem Pinsel, der Gestus, vermag so das sichtbar zu machen, was  sonst scheinbar allein dem Hören zugänglich ist.
 Die Malerei Alexander Kühns  handelt von und zeigt immer wieder neue Bewegungen zu malerischen Bildräumen  und ihren faszinierenden Gestaltungen. Seine Bildräume sind grundsätzlich  antistatisch, sie verhalten sich geradezu polar gegenüber Malereien, die  Zustände, Gedanken, Emotionen einfrieren, erstarrt zeigen.
 Sie sind gefasst in  eine Fülle von Kleinodien, die berühren, auch, weil sie die Grenzen des  Begreifens zeigen, ja diese manchmal zart überwinden. Gleichwohl geben Motive,  Linien, Farbbewegungen, mal gestisch-heftig, mal sanft, Orientierungen auf dem  Tafelbild.
 Die sichtbaren  künstlerischen Resultate selbst sind zwar räumlich-flächig, aber auch sie  geraten für das aufmerksame Auge wieder in Bewegung. Selbst scharfe  schablonenhafte Formen können ebenso als Vorder- wie als Hintergrund gesehen  werden.
 Und wenn man - die großen  Formate abschreitend - sie genau betrachtet, sind allen diesen Gemälden  Gegenbewegungen immanent. Auch Sehen ist ja ein aufwendig tastendes Bewegen der  Augen, nicht das schlichte Öffnen und Schließen einer Kameralinse!
 Der tastende  Blick bemerkt, wie das Gleichmäßige in Farbnuancierungen differenziert ist; wie  scheinbar geschlossen monochrome Flächen verschiedene Valeurs haben; bemerkt  vielleicht, wo im mehrschichtigen Farbauftrag, aus der Distanz gesehen, opakes  Schwarz mit lilanen oder roten Schlieren durchschimmert.
 Ich komme zum Schluss, meine  Damen und Herren. All diese Bilder hier in der Zehntscheune sind von der fixen  Idee der malerisch kanonisierten Komposition befreit. Sie sind dem Zwang enthoben,  in vertraute Koordinaten von Raum und Zeit eingesperrt zu sein. Erst dieser  subjektive Bildraum lässt dem Betrachten freien Lauf in die Fläche und  besonders in jede mögliche Bildtiefe.
 
 „Aus des Knaben Wunderhorn“ fordert  aufs freundlichste das neugierige Flanieren, sich aufmerksam und entspannt  durch die Ausstellung zu bewegen.
 In der aktuellen Bilderwelt Alexander  Kühns sind ästhetische Vermächtnisse der Romantik und Moderne tatsächlich wirkungsmächtig  geworden.
 Arnim und Brentano, die  Autoren der „Wunderhorn“- Gedichte, bemerkten zu solch vielleicht  überraschenden Wirkungen:
 „Es giebt eine Zukunft und eine Vergangenheit des  Geistes, wie es eine Gegenwart des Geistes giebt,
 und ohne jene, wer hat  diese?“
 
 Meine Damen und Herren, ich  danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
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    | "Luftschlösser"      Alexander  Kühn erschafft eine sehr spezielle Art von Architektur: "Luftschlösser".Und diese  sind nicht immer gut angesehen. Wenn man meint jemand hat fixe Ideen im Kopf  und die Pläne seien nichts als Spinnerei, dann würde mancher vielleicht sagen:  „Das sind doch alles Luftschlösser!“
 Diese Art  Luftschlösser sind dann negativ besetzt, was irgendwie schade ist, denn ein  Schloss in der Luft ist doch eigentlich eine schöne Vorstellung.
 Und da  bin ich schon bei den Arbeiten von Alexander Kühn. Denn die Luftschlösser die  er uns in dieser Ausstellung zeigt, gehören eindeutig zur zweiten Kategorie,  sie sind eine schöne Vorstellung und das in zweierlei Hinsicht:
 Zum einen  finden wir die Idee eines Luftschlosses dargestellt und zum zweiten ist diese  Darstellung ästhetisch sehr gelungen.
 Die Serie aus dem Jahr 2013 ist rätselhaft, spannend und poetisch. Sie irritiert den  Betrachter und ist gleichzeitig eine Einladung an unsere Gedanken, hier länger  zu verweilen und uns den gewaltigen Horizonten hinzugeben. Das  interessante dabei ist auch, dass die Bilder gar nicht wirklich groß sind, aber  trotzdem entwickeln sie eine unglaubliche Weite und Sogkraft.
 Alexander  Kühn hat an der Fachhochschule Hannover bei Peter Redeker und Stephan von Huene  studiert und sich viele Jahre
 mit Malerei beschäftigt und unendlich viele  Bilder gemalt. Das merkt man den hier gezeigten Lichtbildern an.
 Es sind  digital bearbeitete, besondere Fotografien, die mit einem malerischen Auge  gestaltet wurden.
 Hier agiert jemand, der genau weiß, wie ein Bild gestaltet  werden muss, damit wir als Betrachter hängenbleiben
 und gefesselt sind.
 Die  Bilder haben einen interessanten Aufbau; im unteren Drittel finden wir eine  Landschaft, sie ist in schwarz gehüllt, bleibt geheimnisvoll, deutet nur an.  Man entdeckt Verweise an Architektur, dort einen Mast, hier ein Brückenbogen,  da eine Art Gebäude. Man weiß nicht, wo man sich befindet. Das könnte ein  Wüste, eine Schneelandschaft oder gar ein fremder Planet sein, nichts bietet  uns eine Orientierung. Das ist auf eine unbestimmte Art unheimlich, aber dann  ist da dieser unglaubliche Himmel.Auch den  hat der Künstler digital gestaltet. Es gibt ein geheimnisvolles analoges  Material, das den Himmel ausmacht, aber das
 soll uns gar nicht weiter  interessieren. Spannend ist, wie es sich im Bild zeigt.
 Das ist  ein Himmel, das man unweigerlich an William Turner denken muss. Dieser Maler  der Romantik hat wunderbare Himmels - und Lichtbilder geschaffen, das man nur  staunen kann.
 Auch  Alexander Kühns Himmel machen sprachlos, da brechen sich Wolkenformationen  bahn, die an Nordlichter erinnern.
 Ein Morgen oder Abendrot deutet sich an und  wir als Menschen fühlen uns ob dieser Naturgewalt klein, aber auf eine positive  Art, man empfindet Ehrfurcht gegenüber der Natur.
 Was genau  mit Luftschlössern in diesen Bildern gemeint ist, bleibt ein Rätsel.
 Sind es  die sonderbaren schwarzen Bauten? Oder ist doch eher der Himmel gemeint?
 Ganz klar  ist, das eine kann nicht ohne das andere wirken. Erst durch die Zusammenfügung  der beiden Phänomene wird das Bild ganz. Es sind phantastische Gebilde, die uns  irgendwohin mitnehmen.
   Neben  diesen Luftschlössern zeigt uns der Künstler noch weitere Bilder aus einer  anderen Serie mit dem Titel „Datura“.Diese  Serie hat Alexander Kühn im Jahr 2013 begonnen und arbeitet immer noch daran.
 Wir haben  es mit einer Form von Porträt zu tun. Nämlich Pflanzenporträts. Blüten der  Engelstrompete, ihr alter lateinischer Familienname ist „Datura“ , sind in  Nahaufnahme zu sehen.
 Sieht man  die Blüten von weitem, glaubt man sich Malereien aus dem Barock gegenüber,  kommt man ihnen dann aber näher, sieht man, nein das sind digitale Fotografien.
 Die  Farben und die Thematik erinnern an die Vanitas Stillleben aus dem 17.  Jahrhundert. Käfer, Blüten und  Früchte  waren Verweise an den Tod und die Endlichkeit des Lebens.
 Alexander  Kühn hat die Blüten der Engelstrompete nicht einfach abgelichtet. Die Bilder  sind bis ins kleinste Detail gestaltet.
 
 Die  Blüten stehen sehr prominent im Bild, hier ist sich jemand wahrlich seiner  Schönheit gewiss. Prachtvoll wölben sich uns die Blüten entgegen, Staubblätter  ragen hervor. Mache Blüten wirken wie wunderschöne Kleider mit einem  faszinierenden Faltenwurf.
 Auf einem  Blatt sehen wir mehrere Blüten zu einem Ensemble arrangiert. Es sind alte,  getrocknete Blüten einer Engelstrompete könnte man ganz prosaisch sagen, ja das  ist die eine Seite. Auf der anderen Seite stehen wie aber einem ästhetischen  Meisterwerk gegenüber, das man sprachlos wird.
 Ästhetik ist in der  bildenden Kunst immer gefährlich. Ist etwas zu ästhetisch kommt es in den  Verdacht nur schön zu sein, ausschließlich der Oberfläche zu dienen. Sagt man  über Bilder sie sind schön, ist das sofort kritisch. Ich sage aber ganz  bewusst, das die Bilder aus der Serie „Datura“ schön sind und das müssen sie  auch sein, denn sonst könnte uns das Bild nie so packen. Die  Schönheit der Blüten ist ambivalent. Es sind keine gerade erblühten, frischen,  lebenden Objekte, die uns da begegnen.
 Es sind alte, tote Blüten, festgehalten,  kurz bevor sie hässlich und unansehnlich werden. Die Momentaufnahme ist  wichtig, was war davor und was kommt danach?
 Und da ist man bei den ganz großen  Fragen, die uns alle irgendwann und irgendwie beschäftigen.
 Alexander  Kühn hat in mühevoller, stundenlanger Arbeit die Bilder vor einen schwarzen  Hintergrund montiert. Dieses Schwarz ist ungemein wichtig für die Bilder. In  ihrer Hyperrealität stehen die Blüten davor und nichts lenkt unseren Blick von  ihnen ab. Sie schweben in einem Raum, den es nicht gibt, unser Auge kann sich  nur an den Blüten festhalten.
 Wie schon  in der Serie der „Luftschlösser“ verwirren uns manche Blätter. Auf einem Bild  hat der Künstler zwei Blüten zusammengesteckt und irgendetwas ist unter ihnen  verborgen. Die Blüte wird zu einer Gestalt, die Blütenblätter zu einem  Totentuch.
 Ein  weiteres Blatt wirkt regelrecht heiter. Die Blüte hat etwas tänzerisches an  sich.
 Und auch  eine Prise Erotik kann man finden, wenn man genügend Phantasie mitbringt.
 
 Sie  können sich jetzt also auf den Weg machen und sich in wunderbaren  Luftschlössern herumtreiben und darüber staunen, dass eine einfache  Engelstrompetenblüte so unfassbar schön sein kann.
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